16.12.2021 — Aktuelles, Nachberichte

Seid wandelbar, ohne den Fokus zu verlieren!

­­­Die Firmen der Textil- und Bekleidungsbranche stehen im Jahr 2021 an einem Scheideweg: Die weltweite Pandemiesituation hat vielerorts schnelle Entscheidungen notwendig gemacht und so unter anderem der Digitalisierung auf die Sprünge geholfen. Der fortschreitende Klimawandel stellt die Branche erneut vor große Aufgaben.

 

Mit dem Vortragsprogramm zur Jahrestagung 2021 gab der DTB – Dialog Textil-Bekleidung e.V. am 18. November Impulse, wo und wie Veränderungen beginnen können.  

Wandel zulassen

Jan Hilger, Vorstandsmitglied der Trading Company Guangzhou Canchi Trading Co LTD und kooptiertes Vorstandsmitglied DTB e.V. startete seinen Vortrag mit einem eindringlichen Appell für mehr Nachhaltigkeit in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Mode müsse wieder mehr geschätzt werden – die Entwicklung hin zum Wegwerfprodukt sei keinesfalls weiter akzeptabel. Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit ruhe auf drei Säulen: People, Processes und Products.

Es ist leider in den Köpfen der Menschen viel passiert, was dazu beigetragen hat, dass wir heute in der gesamten Branche nicht mehr so nachhaltig sind, wie wir es in den 1950ern bereits waren.

Jan Hilger, Vorstandsmitglied der Trading Company Guangzhou Canchi Trading Co LTD und kooptiertes Vorstandsmitglied DTB e.V. 

 

Früher wurden Bekleidungsstücke repariert, das mache und könne heutzutage kaum noch jemand. Dadurch verkürze sich der Lebenszyklus von Waren enorm. Hier müsse – nicht nur in den Köpfen der Konsumenten – ein Wandel stattfinden. Es bedürfe eines ganzheitlichen Ansatzes, bei dem es nicht nur um Ökomaterialien und Umweltsiegel gehe. Jeder könne durch ein Umdenken im Kleinen einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten, getreu Vivienne Westwoods Motto „Kaufe weniger, wähle gut und behalte es“.

 

Unter dem Stichwort Prozessoptimierung lenkte Hilger den Fokus der Zuhörer auf die Planung als wichtigen Hebel. Die Digitalisierung helfe bei der Präzision von Prozessen und mache Planung und Produktion effizienter, schneller und damit günstiger für Firmen und Investoren. Ebenso könne damit, auch im Hinblick auf künftig strengere, gesetzliche Regularien, Transparenz über die gesamte Beschaffungskette geschaffen werden.

 

Aktuelle Produktbeispiele aus Asien zeigen, was bereits heute möglich ist: Mit der Neuentwicklung Rapitag können Preise und Produktinformationen auf Bekleidungstags durch Neuprogrammierung ständig angepasst werden. Auch smarte Bezahllösungen können so bedient werden. Nach der Zahlung löst sich der Rapitag vom Produkt und kann sofort in den Kreislauf zurückgeführt werden.

Die massive Belastung der Ozeane durch Plastik zwingt Firmen immer mehr zum Umdenken: Zur Plastikvermeidung auf der einen Seite tragen alternative Materialien, wie Bananenblätter als Ersatz für Leder bei. Als Problemlöser im Fokus stehen jedoch Produkte, die durch Recycling entstehen, wie zum Beispiel das Kunststoffmaterial UBQ aus Deponieabfällen.

Kreative Lösungen sind auch Kleiderbügel aus Ozeanplastik (BDE Hongkong) oder geschredderter Kaffee und recycelte Silikonabfallprodukte, die als Labels vor allem für Sportkleidung (alles dekoGraphics) verwendet werden. So kommen Reste oder Zweite-Wahl-Produkte sofort wieder in den Kreislauf zurück. Achtet man dabei noch darauf, dass die Materialien über zertifizierte Anbieter kommen, hat das Recycling nicht nur großen Einfluss auf die Ökobilanz der eigenen Firma, sondern eignet sich auch perfekt für das Marketing.

 


 

Vier deutsche Start-ups gaben bei der Jahrestagung 2021 Einblick in ihre Strategie und präsentierten aus dem jeweils individuellen Blickwinkel Ideen und Innovationsmöglichkeiten auch für die Textil- und Bekleidungsbranche:

Teil der Lösung sein, statt das Problem

David Löwe, Co-Founder und CEO Everdrop erklärte seine Motivation, mit Waschmittel die Welt ein Stück besser zu machen. Everdrop möchte mit nachhaltigen Produkten Haushalte von Einwegplastik und Plastikmüll befreien und so die chemische Belastung des Abwassers und CO2-Emissionen reduzieren. Mit seinem Vortrag „Warum ausgerechnet Deine Lieblings-Pieces die Umwelt zerstören“ veranschaulicht Löwe, wie zusätzlich zu Fast-Fashion auch langjährige Lieblingsteile zur Umweltverschmutzung beitragen:

Dein Lieblingspulli ist dafür verantwortlich, dass Unmengen an Chemie ins Wasser gelangen. Die liebst ihn, du trägst ihn und du wäscht ihn. Waschmittel ist der größte Chemieeintrag im Haushalt.

David Löwe, Co-Founder und CEO Everdrop

 

Standardisiertes Waschmittel enthält Tenside (waschaktive Substanzen) und Wasserenthärter. Zum Waschen von Mode braucht man weiches Wasser. In Gegenden mit hartem Wasser ist deshalb signifikant mehr Waschmittel erforderlich. Damit gelangen pro Waschgang viel mehr Tenside ins Abwasser als nötig. Baukastensysteme, mit dem Tenside und Wasserenthärter separat dosiert werden, sind eine mögliche Lösung. Everdrop geht mit seinem Wasserhärtekonzept einen Schritt weiter auf die Kund*innen zu. Via Kundenadresse werde die Wasserhärte des Wohnortes ermittelt. Die Kund*innen erhielten dann ihr individuelles Waschmittel. Damit würden bis zu 50% unnötige Tenside vermieden. Die Everdrop-Waschmittel sind komplett ohne Plastik und Füllstoffe. Dies auch für die Verpackung zu gewährleisten, sei eine große Herausforderung. Aktuell arbeitet Everdrop mit Papier mit einer Ernteabfälle-Beschichtung.  

Abschließend erhalten die Teilnehmer der Jahrestagung noch praktische Tipps und Hinweise, wie Waschvorgänge weniger belastend für die Umwelt werden. Löwe empfiehlt Kompaktwaschmittel. Dies reinige auch bei geringer Waschtemperatur sehr gut. Mit der Vermeidung eines Wäschetrockners könne jede*r pro Jahr eine halbe Tonne CO2 einsparen. Dazu die Waschmaschine immer voll machen und mit niedrigeren Drehzahlen und Schleudergängen starten. Dies habe auch den Vorteil, dass Lieblingsstücke durch das Waschen weniger beschädigt und abgenutzt werde. Wer schon beim Kauf von Mode auf synthetische Fasern verzichtet, habe schon einen großen Schritt dafür getan, die Welt ein bisschen sauberer zu machen:

Denn wenn wir so weitermachen, wird es 2050 mehr Plastik im Meer geben als Fische und das wollen wir doch alle nicht.

David Löwe, Co-Founder und CEO Everdrop

 

 

Community ist der Clou

Mit seinem Vortrag „Wie werde ich als Marke zum Freund:in der Kund:in: Vorteile und Risiken“ zeigt Benjamin Sadler, Co-Founder und CEO Erlich Textil wie man als Marke auffällt und vor allem auch als kleinerer Player auf dem Markt gewichtig auftreten kann.

Durch die sozialen Medien eröffnen sich hier völlig neue Möglichkeiten für Firmen: Sadler rät Brands, über alle Kanäle authentisch und menschlich zu sein. Vielfalt und Abwechslung bei Themen und Inhalten seien wichtig. Ebenso werde die Community aktiv mit einbezogen. Dabei müsse nicht ausschließlich das Produkt im Vordergrund stehen, dennoch sollten alle Maßnahmen auf das Markenziel einzahlen.

Man erreicht Leute am besten, wenn man sie zu Fans der Marke macht. Wir haben diesen Community-Gedanken. So erzeugt man ein Gefühl von dabei sein und mitmachen zu können. Wenn man sich da nahbar als Firma zeigt und auf die Wünsche der Kunden eingeht, kommt man in eine Interaktion und erreicht eine Ebene der Kommunikation, in der es nicht mehr nur um Marketing-Botschaften geht.

Benjamin Sadler, Co-Founder und CEO Erlich Textil

 

So könne man sich als Unternehmen auch zu gesellschaftspolitischen Themen positionieren. Erlich Textil teile sämtliche Inhalte, die für die Zielgruppe relevant seien. Das seien nicht nur Informationen darüber, wo und wie die Produkte hergestellt werden, sondern zum Beispiel auch Themen wie der Brustkrebsmonat Oktober oder Infos zum November als Monat der Männergesundheit. Bei jeder Art der Kommunikation und vor allem bei Kritik sei größtmögliche Transparenz notwendig. Dieses Vertrauensverhältnis ermögliche es dem Unternehmen, auch mit den Kund*innen in einen offenen Dialog zu treten, wenn etwas anders läuft als geplant.

 

Masterarbeit als perfekte Basis

Sehr gut laufen die Bachelor-Studiengänge „Textildesign“ und „Innovative Textilien“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hof. Prof. Dr. Anett Matthäi stellte den ergänzenden, seit zwei Jahren bestehenden Masterstudiengang „Sustainable Textiles“ vor. Da die Anforderungen an Unternehmen bei Themen wie Kreislaufwirtschaft, Chemikalien in Produkten, Digitaler Produktionspass und Ökolabels immer größer werden, sei eine breite, fachliche Ausbildung immens wichtig.

Natalie Wunder, erste Absolventin des Masterstudiengangs, stellte ihre Masterarbeit, die Entwicklung einer nachhaltigen Menstruationsunterhose, vor.

Eine Masterarbeit ist die perfekte Basis, um aus Forschungsergebnissen ein kommerzielles Produkt zu entwickeln und die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen Forschung und Industrie zu fördern.

Prof. Dr. Anett Matthäi, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof

 

Die Hochschule Hof arbeitet international und praxisorientiert. Die gesamte textile Kette könne in der Ausbildung, die auch als duales Studium möglich ist, durch fächerübergreifendes und interdisziplinäres Arbeiten abgebildet werden.

 

Jedes Produkt hat einen Wert

Mit einem mitreißenden Vortrag warb Tabea Ecker, Purchasing Managerin Etepetete für mehr Wertschätzung von Lebensmitteln. Ziel 12 der Sustainable Development Goals fordert, die weltweite Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Allein in Deutschland werden jährlich 12 Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet – davon die meisten Lebensmittel, 6,1 Mio t, in privaten Haushalten. Der 2014 gegründete Bio-Onlinehandel Etepetete kauft Produkte direkt bei den Herstellern, die aufgrund äußerlicher Mängel oder fehlerhafter Verpackung nicht in den Verkauf gehen können. Dabei seien zwei Dinge entscheidend: Zum einen die Wertschätzung von Produkten und Erzeuger*innen und zum anderen der Mut, Möglichkeiten zu erkennen und Neues auszuprobieren:

Ganz großes Thema und super aktuell: Im Lockdown. Die Gastro war geschlossen, doch dafür gab es Obst und Gemüse, das extra dafür produziert worden war und nun keinen Abnehmer mehr hatte. Wir haben Unmengen an Ware in Europa aufgekauft – perfekte Tomaten, Kartoffeln für die Sterneküche, Salate. So viel Ware, die plötzlich keinen Absatz mehr hatte. Etepetete war da und konnte das Thema für viele Landwirte doch noch zum Guten wenden.

Tabea Ecker, Purchasing Managerin Etepetete

 

Wichtig sei auch hier die direkte Ansprache der Kund*innen mit Hintergrundinformationen und Aufklärungsarbeit in Bezug auf die Herkunft und den Wert von Lebensmitteln. Die Digitalisierung benennt Ecker klar als Wettbewerbsvorteil. So sei ein schneller Austausch sowohl mit Kund*innen als auch mit Produzent*innen möglich. Flexible Prozesse und eine offene Kommunikationsstruktur innerhalb des Unternehmens seien mitverantwortlich für den Erfolg des jungen Unternehmens.

 

Produkte mit Mehrwert schaffen

Einblick in die Firmenstrategie des jüngsten Start-ups in der Runde gab Josh Herold, Co-Founder und CEO Beyond Shades. Seine soziale D2C- Sonnenbrillenmarke hat sich zum Ziel gesetzt, vermeidbare Blindheit zu heilen. Mehr als 40 Millionen Menschen leiden an der Krankheit Katarakt, auch bekannt als Grauer Star. Dies sei hierzulande kein großes Thema und durch Routine-Untersuchungen und ambulante OPs zu verhindern. In wirtschaftlich schwächeren Ländern sei es jedoch oftmals schwierig, eine gute medizinische Versorgung diesbezüglich zu gewährleisten.

Die Auswirkungen sind verheerend: Betroffene können ihre Familie nicht sehen, haben sie teilweise auch noch nie gesehen. Sie können nicht arbeiten oder verlieren ihre Arbeit – je nachdem wann die Krankheit auftritt. Und wirtschaftlich hat das alles extreme Folgen. Wir wollten etwas schaffen, das hier hilft: Nicht nur ein Produkt, sondern ein Produkt mit einer Identität, mit einer Geschichte, die man gerne erzählt. Ein Produkt, auf das man stolz ist.

Josh Herold, Co-Founder und CEO Beyond Shades

 

Gemeinsam mit der Partner-NGO Christoffel Blindenmission (CBM) möchte Beyond Shades bis 2030 mindestens 1% vermeidbarer Blindheit (aktueller Stand: 40 Millionen Erkrankungen) heilen. Dies könne das Unternehmen schaffen, indem es mit jeder verkauften Sonnenbrille eine vollständige Augen-OP finanziert. Die Sonnenbrillen werden nachhaltig produziert und CO2-neutral versendet. Die trendigen und begehrenswerten Produkten helfen so Spendenprozesse zu vereinfachen.

Wir sind überzeugt, dass die moderne Konsumgesellschaft und soziales Engagement vereint werden müssen, um langfristig etwas zu bewirken.

Josh Herold, Co-Founder und CEO Beyond Shades

 

Viel frischer Wind bei der DTB-Jahrestagung 2021. Der Perspektivwechsel und die spannende Mischung an Themen, motiviert zu neuen Ideen. Nicht nur die Textil- und Bekleidungsbranche hat große Aufgaben zu bewältigen, das Umdenken müsse in unser aller Köpfe beginnen – so der Tenor aller Teilnehmer.

Wir bedanken uns bei allen Referent*innen und Teilnehmer*innen für den spannenden Austausch – wir freuen uns schon auf das nächste Treffen!


 

Alle Präsentationen und die Kontakte unserer Referent*innen erhalten DTB-Mitglieder jederzeit auf Anfrage von uns. Schreiben Sie uns einfach eine Mail an info@dialog-dtb.de 


 

Wir freuen uns über den Bericht des Branchenmagazins Fashion United – lesen Sie gleich hier weiter:

Teil der Lösung sein, nicht das Problem!